Königlicher Hof von Groß-Rüpelstein, Zimmer 404 des Westflügels.
Die Situation war dramatisch, aber vollkommen protokollgemäß.
Prinz Albrecht, der Erbe der Sieben Glitzernden Reiche, lag darnieder. Er litt an der Königlichen Adventstuberkulose (KAT), einer Erkrankung, die nur durch eine einzige Substanz geheilt werden konnte: die Inoffizielle Advents-Beere der Bescheidenheit (IAB).
Der königliche Hofnarr Pip saß am Fuße des majestätischen, mit vergoldeten Volants verzierten Thronsessels des Königs. Er war der einzige, der keine Perücke trug und dessen Gehirn nicht durch die tägliche Dosis Etikette korrodiert war.
»Archivarius«, flüsterte der König, dessen Stimme durch das Tragen der Offiziellen Sprach-Membran des Staatsoberhauptes dumpf klang. »Die Hohe Kommission für Dringliche Beschaffungen und Logistische Engpässe (HKDBLE) tagt seit drei Stunden. Wir kommen nicht weiter.«
Pip stöhnte leise in seinen Gezielten-Leichtsinns-Glockenhut. »Aber Herrscherliche Hoheit, die Beere wächst direkt vor dem Westtor, im Schnee. Ich könnte sie in zwei Minuten holen.«
Der König zuckte die Achseln, was eine leichte Verschiebung seiner Formalen Schulterpolster der Staatswürde verursachte. »Unmöglich. Pip. Du würdest gegen das Gesetz zur Regulierung des Öffentlichen Zutritts zu Botanischen Notwendigkeiten (GRÖZBN, § 4b) verstoßen. Wir brauchen erst das Formular 33b – Antrag auf Betreten des Unoffiziellen Geländes zur Entnahme von IAB, gestempelt durch das Ministerium für Pflanzliche Notlagen (MPN).«
Der Oberste Groß-Archivar für Historisch-Relevante Papiermassen (OGA-HRP) trat vor. Seine Perücke war höher als Pip. »Das MPN kann das Formular 33b nicht bearbeiten. Es fehlt der Antrag auf Zuteilung der Stempelbefugnis (AZS-Befugnis) vom Amt für Temporäre Autorisierungen (AfTA). Und AfTA ist heute Nachmittag geschlossen wegen der Zehnten Alljährlichen Kaffeepause der Verwaltungsbeamten.«
Pip spürte, wie sein Gehirn vor Bürokratie-Stress zu qualmen begann. Der Prinz wurde blasser.
»Die Beere muss innerhalb der nächsten Stunde verabreicht werden!«, rief die Hofärztin für Alternative Magische Heilmethoden (HA-HM).
Pip stand auf. Er sah den hustenden Prinzen an. Dann sah er das Chaos, das von den gut organisierten Idioten angerichtet wurde.
Pip stellte sich in die Mitte des prunkvollen Saales. »Hoheit! Edle Damen und Herren der HKDBLE! Ich habe eine Offizielle Dringlichkeits-Ankündigung zur Temporären Aussetzung der Sinnhaftigkeit!«
Der Saal verstummte. Der OGA-HRP zückte sofort seinen Notizblock. »Welches Formular ist das? Gibt es eine Vorlage?«
»Formular Nein-Gibt-Es-Nicht!«, rief Pip laut. »Ich verkünde, dass Königliche Hoheit an Extremer Emotionaler Appetitlosigkeit leidet! Er braucht dringend Unterstützung durch die Subtile Magie der Ablenkung!«
Der König runzelte die Stirn. »Ablenkung? Was ist das Protokoll für Ablenkung?«
»Es gibt keines!«, triumphierte Pip. »Es fällt unter die Jurisdiktion des Hofnarren für Spontane Geistige Hygiene. Und dazu brauche ich eine Spezielle Räumungsanordnung!«
Pip klatschte in die Hände. »Alle Personen mit einer Perückenhöhe von über 30 Zentimetern müssen das Zimmer verlassen, um dem Hohen Prinzen des Schicksals eine freie Sicht auf das Wunder der Einfachheit zu gewähren!«
Die Beamten gerieten in Panik. Ihre Perücken waren ihr ganzer Stolz. Sie stolperten über ihre eigenen Roben, versuchten, ihre Perücken mit ihren Dokumenten zu bedecken, und stürzten aus dem Raum.
Der König war irritiert. »Pip, das ist unerhört! Woher hast du die Befugnis?«
»Von der Verordnung zur Erhaltung des Lebens des Thronerben, Majestät! Und die hat immer Vorrang!«, sagte Pip, während er sich blitzschnell einen der Offiziellen Protokoll-Stempel des Archivars schnappte.
Der Raum hatte sich geleert. Nur die Hofärztin, der Prinz und der König blieben zurück.
Pip rannte zum Fenster, das direkt auf den verschneiten Garten blickte, in dem die IAB wuchs. Er riss das Fenster auf und ignorierte den Gesetzlichen Erlass zur Einhaltung der Raumtemperatur-Konstanz.
Er streckte den Arm aus, stempelte das Fenster mit dem Archivar-Stempel («Zutritt erlaubt – Gemäß Protokoll A-Z-113, Abs. 4c. Gültig für 2 Minuten.«) und pflückte die leuchtend rote Beere.
»Hier, Prinz«, sagte Pip. Er reichte die Beere dem Prinzen.
Der Prinz aß die Beere. Sofort verschwand die Röte der Krankheit. Er atmete tief durch. »Ich ... ich fühle mich viel besser! Danke, Pip!«
»Gern geschehen, Hoheit«, sagte Pip. Er sah den König an, der fassungslos war.
»Pip!«, knurrte der König. »Du hast soeben gegen siebzehn Gesetze verstoßen und das MPN ignoriert!«
»Möglich, Eure Hoheit. Aber der Prinz lebt. Ich habe das Primäre Protokoll befolgt: Erhaltung der Königlichen Blutlinie. Und jetzt muss ich den Antrag auf Beantragung der Verzeihung (ABV) ausfüllen. Ich schätze, das dauert drei Wochen. Wollen Sie in der Zwischenzeit Kaffee?«
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen