Ætherium, 22:45 Uhr. Die Stadt schwebte in einer eisigen, klaren Nacht. Lyra stand auf dem Achterdeck der »Turmfalkin«, ihrem eigenhändig umgebauten Frachtgleiter. Der Wind heulte metallisch um die verstärkte Rumpfplatte.
»Die Nacht ist klar«, sagte Kapitän Kael mit rauer Stimme. Er trug einen schweren Pelzmantel, der ihn älter erscheinen ließ als er war.
»Klar?« Lyra schüttelte den Kopf. Ihr kurzes, dunkles Haar tanzte im kalten Luftstrom. » Zu klar, Kael. Der magische Sturm über der Grauzone wird heute Nacht magnetisch aktiv werden. Ich spüre die statische Aufladung in den Flügeln.«
Sie zeigte auf das Hauptsegel. Es war kein Stoffsegel, sondern eine gewebte Platte aus leichten Drachenknochenfasern, die mit einem Æther-Kristall gespeist wurde.
Ihre Fracht war lebenswichtig: Verzauberte Gewürznelken. Eine Ladung duftender Hölzer, die ein Ritual des Friedens ermöglichen sollte – oder zumindest einen Waffenstillstand zwischen den fliegenden Klans und den Landvölkern.
Lyra war Pilotin, keine Aktivistin. Aber sie verstand die Notwendigkeit dieser Aktion. Der Advent brachte Hoffnung, aber auch die größte Dunkelheit.
»Bereit zum Abflug«, rief sie. »Kurs vierzig Grad Nord-Ost. Wir müssen unter die Sturmwolken tauchen und sie von unten durchqueren.«
Kael nickte, sein Blick voller Respekt für sie. Lyra war die furchtloseste Pilotin Ætheriums. Sie hatte ihre Flügel in hundert Stürmen gehärtet.
Die »Turmfalkin« löste sich sanft vom Ankerplatz. Sie glich einem riesigen, lautlosen Insekt, angetrieben vom pulsierenden Licht des Æther-Kristalls.
Sie flogen über die Wolken der Landwelt. Dort unten lag die Kälte der Verzweiflung. Hier oben die Kälte der Höhe.
Nach einer Stunde erreichten sie die Grauzone. Der Himmel vor ihnen war eine schwarze Wand, durchzogen von pulsierendem Grün. Die Aura des magischen Sturms.
»Haltet die Fracht fest! Wir gehen rein!« Lyra. lenkte den Gleiter in das Energiefeld.
Der Sturm schlug sofort zu. Der Gleiter wurde hin und her geschleudert. Die Geräusche um sie herum kamen nicht vom Wind, sondern waren das Knistern magischer Entladung.
Lyra aktivierte die sekundären Stabilisatoren. Kleine magische Zylinder an den Flügelspitzen begannen rot zu leuchten. Der Gleiter reagierte langsam, aber er gehorchte.
»Die Höhenmesser sind nutzlos! Die Magie stört alles!«, rief Kael.
» Ignorieren! Wir fliegen nach Gefühl! Und nach dem Kompass aus Drachenknochen!«, antwortete Lyra. Der Kompass war ein Erbstück, das durch reine Intuition funktionierte, wenn die Technologie versagte.
Ein Blitz grüner Energie schlug in das Hauptsegel ein. Der Æther-Kristall flackerte. Der Gleiter sank jäh ab.
»Verdammt! Wir verlieren an Höhe!«, schrie Kael.
Lyra presste die Lippen zusammen. Keine Panik. Panik war die größte Gefahr in der Luft. Sie sah das magische Glimmen der Gewürznelken im Frachtraum. Das Licht war schwach, aber beständig. Die Ladung war intakt.
Sie lenkte den Gleiter in einen Aufwind-Strom aus heißer Luft, die aus einer Erdspalte drang. Der Gleiter schoss gehorsam nach oben, aber die Belastung war enorm.
Fünf Minuten später brachen sie durch die Wolkenwand. Der Sturm lag hinter ihnen. Vor ihnen der klare Himmel über der Landezone. Der Horizont färbte sich schon rosa. Die Sonne kam.
Lyra atmete tief ein. Ihr Herz schlug ruhiger. Sie hatte es geschafft.
»Wir sind durch«, sagte sie lakonisch.
Die Anspannung fiel sichtbar von Kael ab. »Kein anderer Pilot hätte das geschafft«, murmelte er.
Lyra zuckte die Achseln. »Das Ziel ist erreicht. Das ist alles, was zählt.« Der Advent war gesichert. Die Gewürznelken würden ihre Friedensmagie entfalten.
Sie steuerte die »Turmfalkin« sanft in Richtung Landepunkt.
10.12.25
10. Dezember: Der Flug der Turmfalkin
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