Unterirdisches Labor Beta-4, 500 Meter unter der Erdoberfläche.
Dr. Helena Meyer überwachte ein Experiment im Auftrag der Sektion für Psychologische Abwehr: die Kalibrierung der »Schwarzen Welle«. Ihr Ziel war die Feinabstimmung für eine Infraschall-Frequenz, die in Hochsicherheitsbereichen potentielle Eindringlinge durch pure, unkontrollierbare Panik in die Flucht schlagen sollte, ohne eine einzige Wunde zu hinterlassen.
Auf ihrem Monitor sah sie den zentrale Prüfraum, ein kubisches Zimmer aus Beton. Helena hielt ihn in absoluter Dunkelheit. Ohne visuelle Reize, so die Theorie, würde das Gehirn eines Probanden jedes Zittern der Luft als Bedrohung interpretieren. Für diese Kalibirierung fungierte Helena selber als Testperson: Obwohl ihr Kontrollraum als schallisoliert galt, würde die Dämmung bei diesen extrem niedrigen Frequenzen versagen.
»Beginne Protokoll ›Schwarze Welle‹«, sagte sie in ihr Headset, um den automatischen Logbucheintrag zu starten. Auf dem Monitor sah sie, wie die mächtigen Sub-Woofer im Prüfraum ihre Arbeit aufnahmen.
Eine mechanische Resonanz erfasste das gesamte Fundament des Bunkers und ließ es vibrieren. Es übertrug sich als dumpfes, unheimliches Grollen, das durch ihren Körper ging. Der Spektrograph zeigte einen t roten Ausschlag bei exakt 7 Hz.
»Die Luftmoleküle reagieren wie erwartet«, murmelte sie. Doch dann bemerkte sie eine Anomalie auf dem Sonarsystem, das die Dichte der Luft im Prüfraum maß.
Normalerweise zeigten die Kurven gleichmäßige Wellenmuster. Doch nun zeichnete das Sonar eine Kontur auf, eine Verdichtung der Luftmassen, die sich im Zentrum des Raumes materialisierte. »Die Frequenz ist zu niedrig für stehende Wellen dieser Größe«, flüsterte Helena. Die Form auf dem Bildschirm bewegte sich. Sie war so massiv, als würde der Schall selbst einen Körper aus der Dunkelheit formen.
Helena erhöhte die Frequenz auf 12 Hz. Der Druck im Prüfraum stieg, und auch in ihrem Kontrollraum begannen die Monitore leicht zu zittern.
Die Form auf dem Sonar wurde schärfer. Sie hatte nun die Umrisse eines hochgewachsenen, breitschultrigen Mannes.
Helena erstarrte. Sie hatte den Raum vor dem Experiment eigenhändig versiegelt und mit Wärmebildkameras überprüft. Dort war niemand.
Plötzlich begriff sie die Gefahr ihres Versuchsaufbaus: Infraschall triggerte nicht nur Angst, er griff in die tiefsten Erinnerungsschichten. Helena wurde vom Bild ihres Vaters überwältigt, der vor Jahren in einem eingestürzten Minenschacht spurlos verschwunden war. Die Schattenform auf dem Monitor entsprach genau seiner Statur.
»Systemabschaltung! Sofort!«, befahl sie mit brüchiger Stimme und schlug selber auf den Not-Aus-Knopf. Das Infraschall-Grollen verstummte augenblicklich und nichts vibrierte mehr. Die Anzeigen sanken auf null. Stille.
Die Kontur auf dem Sonarbildschirm verblasste. Helena atmete öangsam aus. Sie wollte gerade das Licht im Prüfraum einschalten, als ein Geräusch sie erschreckte.
Es kam nicht aus dem Prüfraum. Es erklang von ihrer eigenen Tür: Das Megnetschloss wurde entriegelt – von außen.
Helena starrte auf die Türklinke. Hatte der Schall eine so große Macht gewonnen, dass die projizierte Angst eine physische Form annehmen konnte?
Dann kamen drei kurze Schläge, eine Pause, zwei schnelle.
Helena hielt den Atem an. Das war kein wahlloses Hämmern. So hatte ihr Vater früher immer an ihre Zimmertür geklopft, wenn er von der Schicht kam.
EHelena schaltete das Neonlicht des Korridors ein. Die Kameras zeigten einen leeren Flur. Nichts.
Sie stand auf und öffnete die schwere Tür. Auf dem sterilen Betonboden, genau auf der Schwelle zu ihrem Raumes, lag ein kleiner Brocken Eisenerz-Gestein. Es glich den Souvenirs, die ihr Vater früher oft aus den tiefsten Schächten mitgebracht hatte.
Helena nahm das Erz in die Hand. Es war eiskalt und roch nach feuchter Erde. Das Experiment hatte sein Ziel erreicht: Sie hatte die Frequenz der Angst gefunden. Aber sie hatte nicht geahnt, dass die Tiefe der Stille die Toten zurückbringen konnte.
18.12.25
18. Dezember: Die Tiefe der Stille
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